Der Klimawandel überfordert unser Denken
Der Klimawandel bleibt eines der größten ungelösten Menschheitsprobleme, da es der Politik bisher nicht gelungen ist, den Klimaschutz weltweit entscheidend voranzubringen. Im Gegenteil: Das Thema ist in den vergangenen Jahren auf der politischen Agenda nach hinten gerückt. Kritiker sagen, die internationale Klimapolitik befinde sich in einer tiefen Krise. Das Gipfeltreffen im arabischen Doha Ende 2012 hat wenig Beachtung in den Medien gefunden, und auch die politischen Fortschritte waren gering. Schon 2011 hatten die UN-Verhandlungen in Durban nicht den lange ersehnten Durchbruch erbracht. Immerhin wurde dort noch bestätigt, dass die Vereinten Nationen weiterhin den Verhandlungsrahmen für die internationale Klimaschutzpolitik geben.
Die Gründe für den Bedeutungsverlust des Klimawandels in der politischen wie medialen Debatte sind vielschichtig. Ein großes Hindernis sind die starren Haltungen von Staaten wie den USA oder China, sich zu rechtlich verbindlichen Klimaschutzzielen zu verpflichten. Diese Position ließ manchen Klimagipfel scheitern. Zuerst zu nennen ist da das Treffen 2009 in Kopenhagen, wo die Europäische Union mit ihren vergleichsweise hochgesteckten Zielen außen vor blieb. Washington und Peking gaben den Ton an und ließen wenig zu. Seitdem ist die Dynamik zurückgegangen.
Doch über die politischen Gründe hinaus gibt es andere Motive für den schwierigen Umgang mit dem Klimawandel. Es sind Gründe psychologischer Art, die die Handlungen aller Systeme bestimmen – sei es Politik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Medien. Es geht dabei um die spezielle Problemstruktur des Klimawandels, die der menschlichen Art, Krisen zu lösen, teilweise entgegensteht. Das zumindest sagen Experten.
Klimawandel in langen Zeitspannen
„Der Klimawandel widerspricht unserer Art, Probleme wahrzunehmen und zu bekämpfen, er überfordert den Menschen“, sagt der frühere BBC-Reporter und Psychotherapeut Mark Brayne. Kollegen geben ihm Recht. Der britische Umweltjournalist George Marshall hat in Aufsätzen das Thema Klimawandel untersucht. Sein Fazit: Vor allem die zeitliche Dimension des Themas überfordert das politische System, das durchaus zu schnellem und globalem Handeln fähig ist, wie die Bekämpfung der Weltfinanzkrise gezeigt hat.
Für Europäer und Amerikaner liegen die Folgen des Klimawandels meist noch in der Zukunft. Sie sind somit noch nicht wirklich präsent und greifbar. In Regionen wie Südasien oder der pazifischen Inselwelt ist das schon anders. Denn diese Gebiete sind am stärksten von Klimafolgen wie Stürmen, Überschwemmungen und steigendem Meeresspiegel getroffen. Der Klimawandel ist dort schon viel stärker Teil des Alltags als in den Industriestaaten – also in den Ländern, die am meisten zur Erderwärmung beitragen und gleichzeitig die größte politische Verantwortung für den internationalen Klimaschutz tragen.
Erfolge im Klimaschutz spät sichtbar
Diese Staaten haben mit einem weiteren zeitlichen Problem zu kämpfen: „Die Erfolge jetzigen Handelns sind erst in 70 Jahren sichtbar; das übersteigt die Vorstellungskraft. Und die Motivation, etwas zu tun“, erklärt die Hamburger Journalistik-Professorin Irene Neverla, die die mediale Darstellung des Klimawandels erforscht. Regierungszyklen dauern meist vier oder fünf Jahre. Daher widerspricht der zeitliche Rahmen, in dem Politiker in der Verantwortung stehen, der Langfristigkeit und auch Unbestimmtheit des Klimawandels. Denn seine exakten Folgen kann die Klimaforschung auch mit den besten Klimastudien nicht Jahrzehnte im Voraus bestimmen.
Der Klimawandel wird demgegenüber nur sehr langsam und schleppend bekämpft – auch in der Gesellschaft. Sie verfügt durch die rasante Entwicklung der Klimaforschung in den vergangenen Jahren über ein immenses Wissen darüber, wie das Problem zu lösen wäre. Und auch darüber, was es kostet, nichts zu tun. Das hat der sogenannte Stern-Report 2006 beziffert. Darin kalkulierte der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern die wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung. Kosten von rund 5,5 Billionen Euro kämen auf die Menschheit zu, wenn sie nichts gegen den Klimawandel unternimmt.
Es gibt keinen Hauptschuldigen für den Klimawandel
Warum wird so wenig getan, wenn es so teuer wird? Diese Frage stellt sich in der Klimadebatte immer wieder. Ein anderes, wiederum psychologisches Moment liefert Erklärungen: Die Ursachen und Folgen der Erderwärmung sind hochkomplex, teils umstritten – und damit alles in allem sehr unüberschaubar. Zielgerichtetes und gemeinsames Handeln erschwert das enorm.
Es gibt auch ein örtliches Problem, wie Irene Neverla sagt. „Der Klimawandel wirkt überall auf der Welt, wodurch man ihn schwer verorten kann.“ Auch das macht ihn zu einem schwer greifbaren, diffusen Thema, für das sich niemand zentral verantwortlich fühlt. Darüber hinaus gibt es keinen Hauptschuldigen. Denn die Verursacher des Klimawandels sind immer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam. Alle Ebenen sind beteiligt – und leiden gleichzeitig an den Folgen. Eine klare Aufteilung in Täter und Opfer erlaubt die Thematik also auch nicht.
Klimapsychologie: Die Forschung fängt erst an
Das Zaudern in der Klimafrage hat sicher nicht nur psychologische Gründe. Doch diese Dimension des Problems ist der Grund für viele Hindernisse – wird aber nur selten diskutiert. „Wir müssen auf diese Thematik schauen. Wenn wir unsere Wahrnehmung des Problems kennen, können wir ihm besser begegnen“, sagt Psychotherapeut Brayne.
Psychologie und Medienforschung haben erst in den vergangenen Jahren begonnen, sich diesen Fragen zu widmen. Die Hamburger Professorin Irene Neverla arbeitet in einem dieser Klimapsychologie-Projekte. Sie glaubt, dass auch der Klimawandel den generellen Themenzyklen unterliegt, also in den Medien mal mehr und mal weniger weit oben auf der Tagesordnung steht. Grundlegend sei die Erderwärmung aber ein gesellschaftliches Thema, das nicht mehr vergeht. Sie wecke starke Assoziationen wie etwa den „Glauben an die Natur, an Reinheit und Ursprünglichkeit“, so Neverla. Auch deshalb sei der Klimawandel auf einer ganz elementaren Ebene positiv besetzt. Die Folge: Er hat als Medienthema einen langfristigen Charakter – und bleibt daher auch in Phasen der Kritik und des Zweifels an Klimaforschung und Klimapolitik in der Diskussion. Auch das macht den Klimawandel zu einem neuen „Metathema“, wie Neverla sagt, also zu einem übergeordneten Themenfeld, das eine besonders große Bedeutung erlangt hat.
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